„Wahlen – Macht oder Ohnmacht?




„Wahlen haben wir immer genug“, sagte einst der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Inzwischen haben wir nicht nur etwa ein Mal pro Jahr die Möglichkeit unsere Stimmabgabe in der Tasche der Demokratie zu versenken, sondern, vor allem in Wahljahren wie diesem, gefühlt jeden Monat.

Die Liste ist lang, von der Kommunalwahl über die Landtagswahl, die Europawahl bis hin zur Bundestagswahl liefern sich Politiker und Politikerinnen allabendlich redensschwingend und programmekramsend auf bildungsfernen, öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern erbitterte Wortgefechte, in denen der Wahlberechtigte im Zweifel nicht aus Langeweile, sondern aus Überforderung ausschaltet.

„Was soll ich wählen, wen soll ich wählen?“, fragen wir uns dann und neigen zur Verzweiflung, zumal die Parteien, die versprechen, dass sie sich für uns einsetzen, nicht müde werden uns allen Ernstes weiszumachen, dass es auf keine andere Stimme ankäme, als auf unsere.

Natürlich wäre es vermessen zu behaupten, dass die obersten Plätze auf den Listen der Parteien nicht mit Gewicht versehen an der Höhe der Wahlbeteiligung hängen würden. Doch die Wahlbeteiligung, sie ist immer noch der Königsweg für eine Demokratie, wäre auch ohne die Magnetwirkung bekannter Gesichter weitaus größer, wenn wir, der Souverän in einer Demokratie, uns sicher sein könnten, dass unsere Stimme nicht einer von vielen ist, die nach abgegebener Stimmabgabe für alle Zeit im Nirvana unserer Freiheit verschwinden.

Die Meinungsforscher wissen das natürlich. Sie wissen, dass die meisten Menschen nicht wählen gehen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Stimme nichts bewirkt. Denn was wäre die Alternative? Glauben, dass die da oben in ihren Elfenbeintürmen ohnehin machen, was sie wollen und einen unsere Meinung einen feuchten Kehricht interessiert?

Die Meinungsforscher wissen auch, dass die Menschen nicht wählen gehen, weil sie das Gefühl haben, es würde sich nichts ändern, und zwar egal, wen sie wählen. Und auch das wissen sie, dass die Menschen nicht wählen gehen, weil sie das Gefühl haben, dass Politiker in erster Linie Politik für sich selbst und nicht für die Menschen machen.

Doch weder die Meinungsforscher noch die Politiker unternehmen anscheinend etwas dagegen. Vielleicht machen sie sich sogar schlicht nichts daraus. Vielleicht denken sie auch, dass es sich nichts daran ändern ließe, denn das „System“ würde schon irgendwie dafür sorgen, dass sich alles so weiterdrehe, wie bisher. Vielleicht ist ja auch alles nur ganz simpel: Vielleicht haben sie, die Politiker, einfach keine Lust auf Veränderung. Schließlich sind sie erst einmal da, wo sie sind. Und wer weiß schon, was die Zukunft bringt.

Vielleicht haben sie aber auch einfach keine Lust auf Demokratie. Schließlich ist Demokratie anstrengend. Demokratie bedeutet, dass man sich mit den Nöten und Sorgen der Menschen auseinandersetzen muss. Demokratie bedeutet, dass man Kompromisse schließen muss. Demokratie bedeutet, dass man auch mal unbequeme Entscheidungen treffen muss.

Wer sich darauf nicht einlassen will, der sollte von einer Karriere als Politikerin oder Politiker besser Abstand nehmen. Denn Demokratie ist keine Wunschvorstellung, sondern eine Lebensform, die es zu leben gilt.

Und für Demokratie lohnt es sich zu kämpfen. Denn Demokratie ist die einzige Staatsform, in der die Menschen wirklich selbst bestimmen können, wie sie leben wollen. Demokratie ist die einzige Staatsform, in der die Menschen wirklich frei sind.

Deshalb lasst uns wählen gehen. Lasst uns unsere Stimme erheben. Lasst uns ein Zeichen setzen. Lasst uns zeigen, dass wir uns nicht länger mit dem abfinden wollen, was ist. Lasst uns zeigen, dass wir mehr wollen. Lasst uns zeigen, dass wir eine echte Demokratie wollen.

Denn Demokratie ist nicht nur eine Frage der Macht. Demokratie ist auch eine Frage der Ohnmacht. Denn nur in einer Demokratie können wir auch dann etwas bewirken, wenn wir uns in der Minderheit befinden. Nur in einer Demokratie haben wir die Macht, die Dinge zum Besseren zu verändern.

Deshalb lasst uns wählen gehen. Lasst uns unsere Stimme erheben. Lasst uns ein Zeichen setzen. Lasst uns zeigen, dass wir mehr wollen. Lasst uns zeigen, dass wir eine echte Demokratie wollen.